Flugmedizinische Tauglichkeit und psychische Belastung - Ein Gespräch mit dem LBA
Der direkte Austausch mit Behörden und Entscheidungsträgern ist für die VC ein wichtiger Aspekt, um Einblicke in Prozesse und Entscheidungswege zu bekommen, die den beruflichen Alltag unserer Mitglieder bestimmen. Zum Thema flugmedizinische Tauglichkeit bei psychischer Belastung und damit verbundenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen war eine VC-Delegation beim LBA zu Gast.
Quelle: Pixabay/Pixel_perfect
Die Flight Safety der Vereinigung Cockpit e.V. ist stets bemüht, ihren Mitgliedern durch den direkten Austausch mit Behörden und anderen Entscheidungsträgern transparente Einblicke in Prozesse und Entscheidungswege zu ermöglichen, die ihren beruflichen Alltag als Pilotinnen und Piloten bestimmen und damit das Vertrauen ins System Luftfahrt zu stärken.
Mit diesem Ziel war eine kleine VC Delegation bestehend aus Nina Moers, AG-Leiterin der AG DAS (Diversity and Social), und Anna Strehlow, AG-Mitglied der AG QUAT (Qualification and Training) sowie dem Leiter Flight Safety, Dr. Daniel Schaad am 24.08.2022 beim LBA in Braunschweig, um dort mit Frau Yvonne Dams, Referatsleiterin Flugmedizin und Rechtsangelegenheiten der Abteilung Luftfahrtpersonal sowie Herrn Olaf Zernick, Abteilungsleiter Betrieb über das Thema der flugmedizinischen Tauglichkeit bei psychischer Belastung und damit verbundenen Diagnose und Therapiemaßnahmen zu sprechen.
Das überaus informative und offene Gespräch hat dabei ganz klar gezeigt, dass dem LBA daran gelegen ist durch Transparenz für Vertrauen unter den Pilotinnen und Piloten zu werben und den Prozess von Tauglichkeits-Verweisungen durch Flugmediziner an die Behörde nachvollziehbar und verständlich zu machen. Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem rund eineinhalbstündigen Gespräch haben wir im Folgenden als beantworteten Fragebogen zusammengefasst, um sie unseren Mitgliedern zugänglich zu machen.
1. Was passiert mit dem Mental Health Bogen, den ich im Zuge einer fliegerärztlichen Untersuchung ausfüllen muss?
- Der Mental Health Bogen verbleibt normalerweise bei den flugmedizinischen Sachverständigen. Er wird ausschließlich an das LBA weitergeleitet, wenn eine sog. "Verweisung" (also eine Abgabe der Entscheidung über die Tauglichkeit an das LBA) erfolgt oder im Fall einer behördlichen Stichprobe.
2. Wen muss ich als Pilot oder Pilotin unterrichten, wenn ich Psychologen oder Psychiater aufsuche?
- In diesem Fall muss spätestens bei der jährlichen Tauglichkeitsprüfung eine Angabe zu dem Besuch gemacht werden. Dies führt automatisch zu einer Verweisung. Das LBA prüft den Fall und bei einer bereits vorliegenden Diagnose wird zwingend eine psychiatrische Stellungnahme zur Wiedererlangung der Flugtauglichkeit benötigt.
3. Was passiert nach Erstellung einer Stellungnahme?
- Auf der Grundlage der Stellungnahme kann das LBA im nächsten Schritt darüber entscheiden, ob die Tauglichkeit weiterhin gegeben ist oder eventuell weitere Maßnahmen (ggf. auch im Rahmen von Anti-Skid, o.ä.) notwendig sind. Wichtig zu wissen ist hierbei, dass bei einer psychologischen Diagnose zwingend eine psychiatrische Stellungnahme erforderlich ist - ein eventuelles Gutachten eines Psychologen oder einer Psychologin reicht nicht aus.
4. Was passiert, wenn ich für einen kurzen Zeitraum Hilfe in Anspruch nehme, ohne eine Diagnose zu bekommen?
- Wenn Psychologen bzw. Psychiater besucht wurden, führt dies wie oben erwähnt automatisch zu einer Verweisung an das LBA und wird geprüft. Wurde hierbei keine Diagnose gestellt und dies anhand von Nachweisen dokumentiert, so wird der Fall in der Regel nach der Bearbeitung beim LBA ohne weitere Maßnahmen oder Einschränkungen wieder geschlossen.
5. Was passiert bei Anti-Skid?
- Anti-Skid bietet bei Therapiebedarf im Bereich Alkohol/Drogen oder psychischer Erkrankungen zahlreiche ambulante und stationäre Programme an. Das LBA bekommt kurze Zwischenberichte und Antiskid meldet dem LBA, wenn sie die Flugtauglichkeit wieder als gegeben ansehen und schickt ein Gutachten ans LBA, womit die Flugtauglichkeit nach Überprüfung im LBA wieder erlangt werden kann. Der ganze Prozess dauert im Schnitt ein bis drei Jahre, wobei zu erwähnen ist, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch während der Anti-Skid-Therapie eine Tauglichkeit möglich sein kann. Anti-Skid kann bei den o.g. Problemen auch als Erstanlaufstelle genutzt werden. Auch hier ist entscheidend, ob eine Diagnose gestellt wird oder nicht.
6. Welche weiteren Auslöser gibt es, die eine Prüfung durch das LBA hervorrufen?
- Hauptsächlich erhält das LBA Verweisungen von den Fliegerärzten. Im Fall einer verweisungspflichtigen Diagnose entscheidet das LBA über die Tauglichkeit. Seltener lösen polizeilich erfasste Vorkommnisse eine Prüfung aus. In der Regel kommt dies bei gefährlichem Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen vor. Gefährlicher Gebrauch kann hier Eigen- und/ oder Fremdgefährdung bedeuten. In diesen Fällen erfolgt zunächst eine Mitteilung an den Betroffenen sowie die Anforderung einer Stellungnahme des Betroffenen.
7. Liegt es im Ermessen der Fliegerärztinnen und -ärzte, welche Diagnosen an das LBA gemeldet werden?
- Nein. Es gibt einen klaren Kriterienkatalog in Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 (öffentlich einsehbar), der die zwingende Verweisung bei bestimmten Erkrankungen/Diagnosen regelt. Darüber hinaus können Fliegerärzte im eigenen Ermessen das LBA konsultieren, was außerhalb des Kriterienkatalogs jedoch kaum vorkommt.
8. Kann ich bedenkenlos eine Kur beantragen?
- Für eine Kur ist immer eine Diagnose erforderlich (außer bei einer Präventionskur). Daher ist es ratsam, diese mit den Fliegerarzt oder der Fliegerärztin im Hinblick auf das Medical zu besprechen. Der Abschlussbericht einer Kur muss im Rahmen der fliegerärztlichen Untersuchung vorgelegt werden und sollte daher vorab selbstständig gründlich geprüft werden.
9. Wie hoch ist der prozentuale Anteil von Verweisungen an das LBA bei allen vom LBA lizensierten Pilotinnen und Piloten?
- Dieser Anteil liegt bei rund zwei bis drei Prozent.
10. Wie bekomme ich nach einer Verweisung an das LBA meine Tauglichkeit zurück?
- Über die Verweisung entscheidet der medizinische Sachverständige des LBA. Ggf. ist die Einholung eines Gutachtens erforderlich. Wie oben erwähnt, erfordert eine psychische Diagnose ein psychiatrisches Gutachten. Im Fall einer festgestellten Untauglichkeit kann eine Zweitüberprüfung beim LBA beantragt werden. Im Rahmen einer Zweitüberprüfung wird der Fall dem fliegerärztlichen Ausschuss vorgestellt. Dieser Vorgang setzt selbstverständlich die Zustimmung der betroffenen Person voraus.
11. Ist eine Diagnose im Tauglichkeitszeugnis erkennbar?
- Bei verweisungspflichtigen Diagnosen wird lediglich ein Aktenzeichen ins Medical eingetragen, die Diagnose selbst ist dabei allerdings nicht erkennbar.
12. Ist bei Prüfungen des Medicals durch das LBA meine Lizenz unmittelbar gefährdet?
- Nein. Die Lizenz ist unbefristet gültig. Eine Ausnahme hierzu besteht nur bei gravierenden Fällen, wie beispielsweise dem Fälschen von Ausbildungsnachweisen zur Erlangung von Berechtigungen oder dem aktiven Fliegen in Kenntnis der Untauglichkeit. Während der Prüfung des einzelnen Falls ist ausschließlich die Tauglichkeit "schwebend", das heißt ausgesetzt.
13. Wenn ich Fragen zu meiner Flugtauglichkeit habe, an wen kann ich mich wenden?
- Erste Ansprechpartner sind die jeweiligen Flugmediziner oder -medizinerinnen. Außerdem können sich VC-Mitglieder vertrauensvoll an die VC-Arbeitsgruppe Flugmedizin (AG MED) wenden, deren Mitglieder mit Doppelqualifikation Arzt und Verkehrspilot "beide Seiten" kennen.
14. Macht es in laufenden Verfahren Sinn, das LBA direkt zu kontaktieren?
- Eine direkte Kontaktaufnahme ist möglich, diese sollte jedoch unbedingt nur von einem Absender und an einen Adressaten im LBA erfolgen. Somit wird verhindert, dass in der Behörde parallele Prozesse angestoßen werden, was unter Umständen zu einer enormen Verzögerung des Verfahrens führen kann.
15. Kann ich selbst etwas tun, um eine rasche Bearbeitung meines Medicals durch die Fliegerärzte und das LBA zu unterstützen?
- Ja. Es ist wichtig und von Vorteil, zum Termin der Tauglichkeitsprüfung alle vorliegenden Befunde und Gutachten für zwischenzeitlich erfolgte Untersuchungen und Behandlungen mitzubringen.
Infobox
Diagnose:
In der Medizin stellt die Diagnose nach allgemeinem Verständnis die Feststellung oder Bestimmung einer Krankheit dar. Eine Diagnose entsteht durch die zusammenfassende Gesamtschau und Beurteilung der erhobenen Befunde. Dabei kann es sich beispielsweise um einzelne Beschwerden und Krankheitszeichen (Symptome) oder typische Symptomkombinationen (Syndrom) handeln. Auch Normalbefunde oder nicht krankhafte Normabweichungen können zur Diagnosestellung beitragen. Diese Befunde werden durch systematische Befragung (Anamnese), durch eine körperliche Untersuchung sowie durch chemische oder apparative Untersuchungen erhoben. Die Diagnose ist entscheidend für die weitere Vorgehensweise bei der Behandlung. In medizinischen Klassifizierungssystemen, wie der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD), werden Diagnosen schematisch in Gruppen eingeteilt und so grob abgebildet. Auch in der Psychologie wird der Begriff Diagnose verwendet.
Quelle: Wikipedia
Verweisung:
Nicht jede gesundheitliche Störung darf bezüglich der Tauglichkeit Klasse 1 abschließend durch die flugmedizinischen Sachverständigen beurteilt werden. Bestimmte Störungen müssen zur abschließenden Tauglichkeitsentscheidung an die lizenzführende Behörde verwiesen, also abgetreten werden.
Quelle: https://www.lba.de/DE/Luftfahrtpersonal/Flugmedizin/FAQ/FAQ_Piloten/FAQ_node.html
Fliegerärztlicher Ausschuss:
Bewerber um ein Tauglichkeitszeugnis können gemäß Anhang VI ARA.MED.325 der EU-Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 eine Zweitüberprüfung Ihrer Tauglichkeit durch die medizinischen Sachverständigen des Luftfahrt-Bundesamtes beantragen. Vor einer Entscheidung des Luftfahrt-Bundesamtes über die flugmedizinische Tauglichkeit ist der fliegerärztliche Ausschuss nach Maßgabe von § 34 Abs. 4 Luftverkehrsgesetz anzuhören. Das Luftfahrt-Bundesamt legt das Verfahren nach Anhang VI ARA.MED.325 der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 auf der Grundlage von §6 Nummer 2 fest und veröffentlicht es zusätzlich auf seiner Internetseite.
Vgl. § 21 Abs. 3 LuftPersV
Unterschied Psychiater – Psychotherapeut – Psychologe in Deutschland
Psychiater sind Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Psychotherapie ist in Deutschland seit 1994 obligatorisch in die Facharztausbildung der Psychiater mit aufgenommen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist abzugrenzen von den beiden anderen psychotherapeutischen Fachärzten (dem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Psychotherapeuten sind meist Psychologen oder Ärzte, die eine Zulassung zur Heilkunde besitzen (Approbation) und Psychotherapie im Sinne des Psychotherapeutengesetzes ausüben dürfen. Dies umfasst Diagnose, Prognose, Indikation und Behandlung psychischer Beschwerden mit Krankheitswert mittels wissenschaftlich anerkannter Methoden der Psychotherapie.
Psychologen sind Personen, die ein Studium der Psychologie mit einem Diplom- oder Masterabschluss erfolgreich beendet haben. Psychologen mit akademischem Abschluss müssen eine Ausbildung zum Psychotherapeuten an ihr Studium anschließen und eine Approbation erwerben, wenn sie heilkundliche Psychotherapie gem. Psychotherapeutengesetz ausüben wollen. Sie können aber auch auf zahlreichen anderen Berufsfeldern tätig werden (wie z. B. in der Wirtschaft, im Personalbereich, in der Forschung, als Verkehrspsychologe oder in Beratungsstellen).
Quelle: Wikipedia
AG MED
Stehen Fluguntauglichkeit oder ein länger dauerndes "Pending" zur Diskussion? Sie haben Gesprächsbedarf und suchen eine Person Ihres Vertrauens? Als Berufsverband bieten wir betroffenen Mitgliedern bei vielen Fragen Hilfe von Anfang an; so z.B. mit ärztlichem Rat, Informationen zu Verfahrensfragen mit dem LBA und zum Fliegerärztlichen Ausschuss, medizinischen Gutachtern oder anderen Fachärzten. So können sich die VC-Mitglieder vertrauensvoll an die VC-Arbeitsgruppe Flugmedizin, deren Mitglieder in Doppelqualifikation Arzt und Verkehrspilot "beide Seiten" beherrschen, wenden.
Quelle: https://www.vcockpit.de/die-vc/verband/mitglied-werden.html
AntiSkid
Das Programm AntiSkid hilft bei psychischen Belastungen, psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen.
Jeder Pilot kennt das: Manchmal sind 2 KM nasser Beton ziemlich kurz. Im Auto hilft ABS beim Bremsen, im Flieger AntiSkid. Und wer hilft den Piloten selber, wenn das berühmte Päckchen auf dem Rücken zu schwer wird um die roten Linien des Lizenzrechts einzuhalten? Wer nimmt hier den Druck raus?
AntiSkid hat sich das Motto "Piloten helfen Piloten" auf die Fahne geschrieben. Als Peer Support Group berät und unterstützt AntiSkid Kolleginnen und Kollegen, die sich Sorgen um die psychische Beeinträchtigung ihrer Gesundheit und Flugtauglichkeit machen. Oft machen sich auch nicht die Betroffenen selber, sondern deren Angehörige oder Vertraute Sorgen und suchen kompetente Ansprechpartner.
Zusammen mit spezialisierten Psychotherapeuten, Fliegerärzten, Kliniken und einer professionellen Fachaufsicht beraten und unterstützt das Programm Hilfesuchende - gerne auch anonym. AntiSkid vermittelt schnell, unbürokratisch und vertraulich genau dasjenige Maß an professioneller Hilfe, das im Einzelfall gebraucht wird.
Die Ziele hierbei sind:
- die Gesundheit des/der Kollegen/in zu erhalten
- die Flugtauglichkeit und damit den Arbeitsplatz zu erhalten
- gemeinsam Lösungen für Probleme des fliegerischen und privaten Alltags zu finden
- Und bei alledem: höchstmögliche Vertraulichkeit zu wahren
https://www.antiskid.info
Richtigungsstellung
Als Richtigstellung zum Artikel „Flugmedizinische Tauglichkeit und psychische Belastung - Ein Gespräch mit dem LBA“ möchten wir festhalten, dass Piloten mit bestehender Fluguntauglichkeit, bei der Teilnahme an einem der AntiSkid Programme in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle schon nach 3 bis 4 Monaten wieder eine bedingte Flugtauglichkeit erhalten und ihren Flugdienst wieder aufnehmen können. Darüber hinaus findet ein zunehmender Anteil der AntiSkid Arbeit im präventiven Bereich statt, in dessen Rahmen die Flugtauglichkeit der Betroffenen erhalten bleibt.
Der Zugang zum AntiSkid System erfolgt in beiden Fällen mit großer Mehrheit über das Peer-Support-System und nicht über die behördliche Ebene.