Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Airprox Update

Die „Air Proximity Evaluation Group“ (APEG) trifft sich regelmäßig, um von Cockpitbesatzungen oder der Flugsicherung als gefährlich empfundene Annäherungen von Flugzeugen zu bewerten. Zwischen September 2020 und Februar 2021 fanden vier Sitzungen statt. Im Folgenden stellen wir einige interessante Fälle vor.

23.03.2021 Flight Safety von Felix Gottwald, AG Air Traffic Services

© NORRIE3699 / Shutterstock

Hotspot Erfurt

Eine Cessna Citation fliegt unter Radarführung auf den Endanflug der Piste 28 für einen VOR-Anflug in Erfurt. Gleichzeitig fliegt ein nicht-identifiziertes VFR-Flugzeug in etwa 4000 Fuß direkt über das ERF VOR. Dieses Funkfeuer ist zwar das Anflugfix, liegt aber außerhalb der Kontrollzone in Luftraum E. Außerdem wird es bekanntermaßen gern von VFR-Flugzeugen als Wegpunkt genutzt. Eine Verpflichtung, sich beim Turm in Erfurt oder bei einem Fluglotsen zu melden, besteht dabei nicht. Der Fluglotse erteilt der Citation Verkehrsinformationen, führt sie ansonsten aber direkt auf den Verkehr zu. Die Citation-Besatzung sieht den VFR-Verkehr erst, als sie diesen mit einem Abstand von etwa 100 m überfliegt. Die APEG stufte diesen Fall in die Risikokategorie A ein und auch die BFU ermittelt im Rahmen einer schweren Störung.

Bereits 2019 hatte die VC beim Luftraumabstimmungsgespräch dargelegt, dass die Anflugverfahren und Luftraumstruktur in Erfurt nicht zusammenpassen und keinen adäquaten Schutz für IFR-Verkehr bieten. Auch im Jahr 2020 gab es eine auffällige Häufung von AIRPROX-Meldungen in Erfurt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erkannte im diesjährigen Luftraumabstimmungsgespräch das Risiko an. Seit März 2021 werden IFR-Flüge deshalb durch flexible TMZ (HX) Lufträume besser geschützt.

Business Aviation

Beim Abflug am frühen Nachmittag kommt eine Cessna Citation einem Segelflugzeug in der Nähe von Augsburg gefährlich nahe. Der Jet startete dabei auf der SID KTP9G Richtung Westen. Die Abflugroute führt durch Luftraum Echo, in dem zu dieser Zeit einige Segelflugzeuge unterwegs sind. Teilweise werden diese als Primärziele sporadisch den Fluglotsinnen und -lotsen angezeigt.

Der für diesen Fall relevante Verkehr hat aber offensichtlich keinen Transponder, beziehungsweise diesen nicht eingeschaltet. Weder die Citation-Crew noch das Team der Flugsicherung antizipieren, dass etwa bei FL70 ein Segelflugzeug in etwa 200-300 Meter lateralem Abstand an der Citation vorbeifliegen würde. Dieses befindet sich in einer Steilkurve und es kann nicht geklärt werden, ob der Segelfliegende den Jet gesehen hat. Die APEG bewertet diesen Fall mit der Kategorie B und erkennt dabei an, dass die Sicherheit mindestens eines Flugzeuges nicht gewährleistet war. 

Beitragend zum Vorfall kann die relativ hohe Steiggeschwindigkeit der Citation mit etwa 3000 Fuß/min genannt werden. Eine gute Luftraumbeobachtung ist dabei schlecht möglich. Die Besatzung erkundigte sich zwar beim Lotsenpersonal nach anderem Verkehr, aber in Deutschland sind Segelflugzeuge und andere am Luftraum Teilnehmende ohne genügende Stromversorgung von der Betriebspflicht eines Transponders ausgenommen. In Luftraum E muss also jederzeit mit Verkehr gerechnet werden, den weder TCAS noch die Flugsicherung (er-)kennen.

TCAS RAs

Fast jeder hat die folgende Situation so oder so ähnlich schon einmal erlebt: in Stuttgart bekommt eine Airbus-Besatzung bei einem nächtlichen Anflug die Landefreigabe und gleichzeitig Informationen über einen Polizeihelikopter, der sich im Tiefflug südlich der Anfluggrundlinie im Einsatz befindet. Der Hubschrauber hat den Airbus in Sicht, bewegt sich allerdings genau in entgegengesetzter Richtung auf diesen zu. Auch der Lotse hat beide Verkehrsteilnehmer in Sicht. Nachdem sich Airbus und Hubschrauber mit einem Abstand von 0,5 NM lateral und 500 Fuß vertikal passiert haben, meldet der Airbus eine TCAS RA und startet durch.

Für Verkehrspilotinnen und -piloten ist TCAS oft die letzte Abwehr, um eine gefährliche Annäherung zu verhindern. Trotzdem hat das System auch Grenzen.  Schließlich kann es nicht vorausschauen und weiß nicht, wie sich die anderen Luftfahrzeuge verhalten werden. Auch in unkritisch erscheinenden Situationen kann deshalb eine TCAS RA erzeugt werden, oft überraschend für die Besatzung und alle anderen Beteiligten. In der APEG haben wir schon einige Fälle von TCAS RA in sehr niedrigen Höhen untersucht. Auch wenn das Risiko einer Kollision vielleicht gebannt oder der Verkehr vermeintlich in Sicht ist, muss einer RA immer gefolgt werden! In diesem Fall hat die Airbus-Besatzung vorbildlich gehandelt.

Die AIRPROX-Hotspotkarte für Deutschland sowie die Best Practices für den Luftraum E könnt Ihr hier herunterladen (PDF) © Wikimedia, Vereinigung Cockpit

Im Sturzflug

In der Nähe des Flughafen Marl finden Fallschirmsprünge statt. Eine Cessna 208 Caravan, die gerade in FL140 ihre Springenden abgesetzt hat, sinkt nun schnellstmöglich wieder Richtung Flugplatz. Im Luftraum C steht sie noch in Kontakt mit der Flugsicherung, meldet sich aber beim Eintauchen in Luftraum E beim Lotsen ab. Dabei bemerkt der Pilot wahrscheinlich nicht, dass er kurze Zeit später in etwa 2400 Fuß nur wenige Meter an einer Cessna 172 im Reiseflug vorbeifliegt. Der 172er-Pilot kann gerade noch seine Maschine herumreißen, bevor beide Maschinen kollidiert wären. Aufgrund der Schnelligkeit des Absetzflugzeuges im Zusammenhang mit dem komplexen Luftraum und hoher Arbeitsbelastung wurden weder der Fluglotse, der kurz vorher noch mit dem Absetzflugzeug gesprochen hatte, noch die FIS-Spezialistin, die in Kontakt mit der Cessna 172 stand, rechtzeitig auf den Konflikt aufmerksam. Der Fall wird in der höchsten Risikokategorie A eingeordnet und zeigt, dass gerade im Luftraum E immer eine aktive Luftraumbeobachtung notwendig ist. Die BFU untersucht das Ereignis ebenfalls.

Fazit

Die Reduktion des gewerblichen Verkehrs im Jahr 2020 ging mit einer Zunahme an VFR-Flügen einher. In der APEG sehen wir daher leider keinen Abwärtstrend bei der Meldung von AIRPROX. Bis auf einen Fall mit einer Drohne in Hamburg (wir berichteten in der VC Info), fanden sämtliche gefährlichen Annäherungen der Kategorie A und B im Luftraum E statt. Dabei sind vor allem die kleineren Flugplätze betroffen gewesen.

Einige Fälle konnten wir in diesem Jahr aufgrund Zeitmangels in der APEG nicht bewerten. Dies betrifft auch eine große Anzahl von Fällen mit unbemannten Luftfahrzeugen. Trotz der Abnahme der IFR-Verkehrszahlen werden immer noch sehr viele Drohnen gesichtet, was oft auch Auswirkungen auf die Betriebsabläufe an den Flughäfen hat.

Gerade in Zeiten, in denen es weniger gewerblichen Verkehr gibt, wiegen wir uns oft in Sicherheit. Machen Sie sich dennoch bitte vor jedem Flug mit der aktuellen Luftraumstruktur vertraut, fliegen Sie in Luftraum E weiterhin defensiv und nutzen Sie die Möglichkeiten der Automation ihres Flugzeuges, um genügend Kapazitäten für die Luftraumbeobachtung zu haben.

Weitere Informationen

Die Best Practices im Luftraum Echo und Hotspot-Deutschlandkarte (PDF) als Download. 

© Gwoeii / Shutterstock

Was ist AIRPROX?

Ein „Aircraft Proximity“, kurz AIRPROX, ist eine Situation, in der sich nach Ansicht der Cockpitcrew oder der Flugsicherung zwei Flugzeuge zu nah gekommen sind. Neben der relativen Position wird auch die Annäherungsgeschwindigkeit berücksichtigt. Eine Meldung erfolgt mit einem gesonderten Formular an das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF).

Risikokategorien:

A – Es bestand ein ernsthaftes Kollisionsrisiko

B – Die Sicherheit mindestens eines Flugzeuges war nicht sichergestellt

C – Es bestand kein Kollisionsrisiko

D – keine Bewertung möglich

Jetzt einen AIRPROX melden oder das AIRPROX-Magazin mit Empfehlungen zum sicheren Fliegen herunterladen:

www.baf.bund.de/DE/Themen/Flugsicherungsorga/Meldesystem/Meldesystem_node.html