Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Fume Events

Kabinenluft: (Ultra-)Feinstaub im Fokus der Wissenschaft

18.11.2021 von Stefan Thielemann, AG Flight Health and Environment

© hxdyl / Shutterstock

Immer wieder erhalten wir Berichte von Kolleginnen und Kollegen, die während ihres Dienstes ein so genanntes Fume Event erlebt haben. Im Anschluss daran sind sie gesundheitlich derart beeinträchtigt, dass sie temporär oder auch permanent ihre Flugtauglichkeit verlieren. Auch im Alltag haben sie mit Einschränkungen zu kämpfen. Es gibt außerdem Fälle, bei denen Flugpersonal unter denselben Symptomen (mittlerweile zusammengefasst unter dem Begriff „Aerotoxisches Syndrom“) leidet, ohne je ein konkretes Fume Event wahrgenommen zu haben. 

Die Forschung hierzu konzentriert sich auf mögliche Verunreinigungen der Kabinenluft an Bord von Flugzeugen, welche in der Regel den Triebwerken bzw. der Hilfsturbine (APU) entnommen wird. Seit langem aktiv auf diesem Gebiet ist die Australierin Susan Michaelis. Sie veröffentlichte – gemeinsam mit Tristan Loraine und Vyvyan Howard - kürzlich eine Pilotstudie, die einen Zusammenhang von Feinstaubemmissionen und Betriebszuständen des bordeigenen Klimasystems untersucht.

Als mittlerweile unstrittig gilt, dass Rückstände von Triebwerksöl – Organophosphate und Pyrolyseprodukte - das Innere der Flugzeugkabine erreichen und dass einige Additive dieser Hochleistungsschmierstoffe in ihrer Reinform gesundheitsschädlich sind. Pyrolyse bezeichnet dabei die chemische Aufspaltung von Bestandteilen des Triebwerksöls unter Einfluss hoher Temperaturen. Die dadurch entstehenden neuen Stoffe sind vielfältig und je nach vorherrschenden Temperaturen nicht immer identisch.

Grenzwerte nicht ohne Weiteres übertragbar

Es existieren mittlerweile viele Studien, welche die Zusammensetzung der Kabinenluft analysiert haben. Es konnten viele Stoffe identifiziert und auf ihr gesundheitsschädigendes Potential hin untersucht werden. Kritische Stimmen der These, verunreinigte Kabinenluft mache krank, argumentieren damit, dass die festgestellten Stoffmengen größtenteils unter ihren Grenzwerten lägen. Michaelis und andere geben zu bedenken, dass die wenigen Messflüge dieser Studien keine Fume Events erfasst hätten und für viele der identifizierten Stoffe überhaupt keine Grenzwerte festgelegt seien. Ferner seien Grenzwerte, sofern es sie gibt, für andere örtliche Gegebenheiten wie Büroarbeitsplätze bestimmt worden und ließen sich nicht ohne Weiteres auf die Bedingungen an Bord von Verkehrsflugzeugen übertragen, ebenso wenig auf komplexe Pyrolyseprodukte. 

Fundierte Aussagen über die Unbedenklichkeit sind auf dieser Grundlage schlicht nicht möglich.

Jüngere wissenschaftliche Arbeiten konnten nachweisen, dass bei der Pyrolyse von Triebwerksöl Feinstaub, besonders so genannter Ultrafeinstaub mit einer Teilchengröße von < 0,1 Mikrometer (µm), entsteht. 

Die Forschung nach Zusammenhängen zwischen Fume Events und gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Cockpitpersonals laufen bereits seit Jahren. Eine kürzlich veröffentlichte Pilotstudie untersuchte die Auswirkungen von Betriebszuständen des bordeigenen Klimasystems auf Feinstaubimmissionen.

Luftfahrtfremde Untersuchungen bescheinigen insbesondere dem Ultrafeinstaub eine gesundheitsschädigende Wirkung. Die Partikel stehen in Verdacht, für Organophosphate und flüchtige organische Verbindungen (VOC) - eben jene potentiell gesundheitsgefährdenden Bestandteile des Triebwerksöls - als „Trojanisches Pferd“ zu fungieren und den Übergang ins Zentralnervensystem zu ermöglichen. Dabei gäbe es kein „No-Effect-Level“, das heißt. bereits kleinste regelmäßige Expositionen würden auf Dauer die Gesundheit beeinträchtigen.

In der Pilotstudie von Michaelis und ihren Kolleginnen und Kollegen wurde untersucht, ob es Zusammenhänge zwischen auftretendem Feinstaub und der jeweiligen Flugphase gibt. Über den Flugverlauf wurde die Feinstaubbelastung in der Flugzeugkabine parallel zum aktuellen Betriebszustand des Klimasystems und zu Leistungsänderungen der Triebwerke aufgezeichnet.

Abb.1: Lubrication and Sealing of Engine Bearings. Quelle: EXXON, 2017. Jet Engine Oil System, Part 2: Bearing Sump Lubrication, Bearbeitung von Prof. Dieter Scholz MSME, Hamburg University of Applied Sciences, für die International Aircraft Cabin Air Conference 2021

Weshalb ist die Triebwerksleistung für diese Untersuchung relevant? 

Hohe thermische und mechanische Belastungen in Flugzeugtriebwerken bedingen eine möglichst reibungsarme Konstruktion der Dichtungen des Ölkreislaufs. An der Triebwerkswelle wird dies durch den Einsatz von Labyrinth-Dichtungen erreicht, die ihre Funktion berührungslos verrichten. Stattdessen wirkt dem Öldruck auf der einen Seite der Dichtung ein Luftdruck auf der „trockenen“ Seite entgegen. Durch Schubänderungen kann dieses Gleichgewicht kurzzeitig gestört werden und zum Eindringen von Öl ins Druckluftsystem des Flugzeugs führen. Jedoch auch bei konstanter Leistung und einwandfreiem Zustand der Dichtungen findet ein anhaltender geringfügiger Übergang von Öl statt. 

Die dabei entstehenden Feinstaubpartikel würden sich über die Betriebsdauer in den Rohren und Leitungen des Klimasystems ablagern und bei Änderungen der Temperatur- und Druckverhältnisse, zum Beispiel durch einen Wechsel der Zapfluftquelle von Triebwerk auf APU nach der Landung, innerhalb kürzester Zeit gelöst und dann in erhöhter Konzentration in die Kabinenluft eingetragen werden.

Abb. 2: Gemessene Anzahl an Ultrafeinstaubpartikeln je cm³ Luft über den Verlauf von Flug 1. Quelle: Michaels et al., 2021

Messungen bestätigten Änderungen der Feinstaubbelastung über den Flugverlauf

Das Team führte Messungen auf vier Kurzstreckenflügen der A320-Familie durch. Ein erfahrener Flugkapitän platzierte das Feinstaubmessgerät unter einem Passagiersitz und zeichnete die Änderungen der Schaltung des Klimasystems über den Flugverlauf auf.

Auf allen Flügen konnten erhebliche Ausschläge registriert werden, wenn die Zapfluftquelle gewechselt wurde (Triebwerk γ APU; APU γ Triebwerk) oder wenn die Klimasysteme nach einem sog. Packs-Off-Takeoff wieder zugeschaltet wurden. Die Feinstaubbelastung sank dann innerhalb von einigen Minuten wieder auf das Ausgangsniveau. (s. Abbildung 2)

Abb. 3: Vergleichsmessungen der Feinstaubpartikelkonzentrationen unterschiedlicher Orte mit dem im Flugzeug verwendeten Messgerät Quelle: Michaels et al., 2021, Grafik: Vereinigung Cockpit e.V.

Vergleichsmessungen ergaben, dass diese Peaks fast das Vierfache der Umgebungswerte der Londoner Innenstadt erreicht haben. Auf der anderen Seite sank die Feinstaubbelastung während des Reiseflugs auf Werte unter denen unserer Umwelt. (s. Abbildung 3)

Eine weitere, ebenfalls dieses Jahr veröffentlichte Studie glich die Feinstaubbelastung an Bord über den Flugverlauf mit zeitgleichen Messungen außerhalb des Luftfahrzeugs ab. Steigende Feinstaubkonzentrationen in der Kabine konnten häufig im Anflug und während der Landung festgestellt werden, jedoch ohne korrelierende Anstiege der Messwerte in der Außenluft. Eine externe Feinstaubquelle konnte hier ausgeschlossen werden.

Ultrafeinstaub-Sensoren als mögliche Lösung

In der Diskussion um adäquate Mitigationsmaßnahmen werden oft Sensoren gefordert, die einen gesundheitsgefährdenden Zustand der Kabinenluftqualität zur Anzeige bringen können. Eine Herausforderung ist die oben erwähnte Komplexität und Variation der Pyrolyseprodukte. Das Team um Michaelis ging mit dem Konzept seiner Pilotstudie daher auch der Frage nach, ob die vergleichbar leicht umsetzbare Echtzeitmessung von Ultrafeinstaub eine Grundlage sein kann, das Auftreten von Öldämpfen in der Kabinenluft darzustellen.

Die Forscher sehen ihre Studienergebnisse in Einklang mit vorangegangenen wissenschaftlichen Arbeiten. Es sei davon auszugehen, dass die Messungen dem allgemeinen Stand der Technik in der zivilen Luftfahrt entsprächen. In Hinblick auf die Entwicklung geeigneter Sensoren, die eine Ölkontamination erfassen, könne Ultrafeinstaub als Indikator ein lohnenswerter Ansatz sein.

Der wissenschaftliche Sachstand über die Auswirkungen von Langzeitbelastungen durch Ultrafeinstaub impliziere gesundheitliche Folgen für Flugbesatzungen und Vielflieger.

Michaelis und ihr Team empfehlen die Filtrierung von Zapf- bzw. Zuluft sowie langfristig eine Abkehr vom Zapfluftkonzept für die Belüftung der Flugzeugkabine.

Nach wie vor ist es für erkrankte Besatzungsmitglieder schwer bis unmöglich, vor den Gerichten den Zusammenhang zwischen einem Fume Event und ihren Beschwerden nachzuweisen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit bleibt daher nahezu immer verwehrt. Es ist zu hoffen, dass ein Fokus auf Ultrafeinstaub die Wissenschaft zeitnah und entscheidend voranbringt und somit das „fehlende Glied“ der Kausalkette von Ursache zu Krankheit einwandfrei identifiziert werden kann.

Der englischsprachige Originaltext der Studie ist unter folgendem Internetlink frei zugänglich:
https://ehjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12940-021-00770-7

Glossar

Aerotoxisches Syndrom

Unter dem Begriff werden eine Reihe von Gesundheitsschädigungen bei Flugbesatzungen und Passagieren zusammengefasst, die in Verdacht stehen, durch Verunreinigungen der Kabinenluft an Bord von Verkehrsflugzeugen hervorgerufen zu werden. Der Begriff wurde erstmals 1999 von den Forschern H. Hoffman, C. Winder und J-C. Balouet eingeführt. 

Fume Event

Auftreten von Rauch, Dämpfen oder Gerüchen an Bord von Verkehrsflugzeugen; potenziell ausgelöst durch Verunreinigungen der Atemluft in der Flugzeugkabine

Pyrolyse

Thermo-chemischer Umwandlungsprozess, bei dem organische Verbindungen bei hohen Temperaturen und in Abwesenheit von Sauerstoff gespalten werden.