Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Reduced Crew Operations (RCO): A Risk Not Worth Taking!

Folge 1: RCO, eMCO, SiPO – worum geht es eigentlich?

19.07.2023 Gastbeitrag von Tobias Radke, Austian Cockpit Association (ACA)

@ ACA

Die Bestrebungen der Luftfahrtindustrie, einen Piloten im Cockpit einzusparen, schreiten weiter voran. Zuletzt informierte ACA Präsident Andreas Strobl in der Mai/Juni Ausgabe (2022) der aca.info über die aktuellen Entwicklungen zum Thema. Mittlerweile befassen sich Airlines, Flugzeughersteller und EASA mit konkreten Fragen zur Zulassung solcher Cockpitkonzepte. Der Weltpilotenverband IFALPA und unsere europäische Dachorganisation ECA haben – ebenso wie ACA – erhebliche Sicherheitsbedenken bei der Einführung einer Reduced Crew Operation (RCO) und stellen fest, dass sich die Industrie vor allem wirtschaftliche Vorteile erhofft.

Mit dieser mehrteiligen Serie möchte die ACA ihre Mitglieder für das Thema RCO sensibilisieren – denn die Pläne hierzu sind konkreter, als viele ahnen. Jede Folge behandelt dabei unterschiedliche Aspekte, darunter auch Case Studies, welche die Risiken einer weiteren Crew-Reduktion aufzeigen. Wir hoffen, dass die vorgebrachten Themen zu Diskussionen unter Kolleginnen und Kollegen und in eurem Umfeld anregen. 

Weiterhin informieren wir über die Maßnahmen der IFALPA sowie die Arbeit der ECA RCO Taskforce, in der die ACA vertreten ist. Wir danken den KollegInnen der Taskforce, IFALPA und ALPA für die wertvollen Inputs zu dieser Serie!

Die aktuelle Situation

Seit Beginn der modernen Verkehrsluftfahrt in der Nachkriegszeit haben sich Cockpitkonzepte fortlaufend weiterentwickelt. Während in Jet-Flugzeugen der ersten und zweiten Generation ein Flugingenieur noch zur Standardbesatzung gehörte, wurde die Anzahl der Besatzungsmitglieder im Cockpit mit der Einführung von mehr Automatisierung, Flight Management Systemen und Glass Cockpits weiter auf zwei Piloten oder Pilotinnen reduziert. Heute ist unser Arbeitsplatz typischerweise ein Cockpit der dritten oder vierten Generation, welches je nach Modell über ein ECAM/EICAS verfügt und ggf. mit umfassenden Envelope Protections ausgestattet ist. Im Laufe dieser Evolution wurde die Anzahl der Besatzungsmitglieder im Cockpit immer nur dann reduziert, wenn der technische Fortschritt und das Gesamtkonzept es zuließen. Parallel wurde die komplexe Zusammenarbeit der Cockpit und Cabin Crew so weiterentwickelt, dass die Besatzung optimal auf eine normale und anormale Operation vorbereitet ist. Auf besonders langen Flügen wechseln sich drei oder vier Piloten ab, um Ruhemöglichkeiten für die Cockpitbesatzung zu gewährleisten.

Die aktuellen Pläne zu einer weiteren Reduktion der Anzahl der Piloten und Pilotinnen im Cockpit gefährden akut die Flugsicherheit, weil die Technik schlichtweg noch nicht reif dafür ist. Des Weiteren greifen sie in fundamentale Bereiche unserer Cockpitarbeit ein, die über Jahrzehnte entwickelt wurde: die Erfahrung eines Kapitäns und die Wissensweitergabe an jüngere KollegInnen, Kreativität, CRM, Fatigue, physiologische Bedürfnisse und Cross-Checks sind nur einige der Punkte, die völlig außer Acht gelassen werden. Eine plötzlich ansteigende Arbeitsbelastung aufgrund eines 'abnormals' oder einer Diversion und das Szenario einer Incapacitation werden ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Die ECA und IFALPA lehnen daher aktuell jegliche Pläne zu RCO ab.

RCO – unterschiedliche „Konzepte“ für unterschiedliche Märkte?

Was bedeutet eigentlich eine Reduced Crew Operation (RCO) und welche Unterscheidungen gibt es hier?

© ACA

 

SiPO

Eine Single Pilot Operation (SiPO) sieht vor, dass ein Flugzeug, welches bisher von zwei PilotInnen betrieben wird, in Zukunft in allen Flugphasen nur von noch einem Piloten gesteuert wird, zumindest auf ausgewählten Strecken und bei geeignetem Wetter. Bisher betrifft dieses Konzept vor allem Flugzeuge der Design Kategorie CS-23 Commuter, welche auf 19 Passagiere und ein maximales Startgewicht von rund 8,6t beschränkt sind. Ein Beispiel hierfür ist die PC-24 des schweizer Herstellers Pilatus, welche bereits heute für SiPO zugelassen ist:

Auch wenn solche Konzepte bisher nicht auf Verkehrsflugzeuge der Kategorie CS-25 angewendet werden – die Business Aviation könnte für Airbus und Boeing hierbei durchaus als Vorbild dienen. Was die Motivation für ein Single Pilot Cockpit angeht, sind jedenfalls ganz klare Parallelen zu den großen Herstellern zu erkennen: es geht um die Kosten. Pilatus bewirbt die PC-24 als Single Pilot Flugzeug, welches z.B. als Air-Taxi eingesetzt werden kann. Obendrein wird der Umstieg vom kleineren Turboprop Modell PC-12 erleichtert.

Auch wenn die PC-24 mit moderner Avionik ausgestattet ist und eine Single Pilot Operation auf diesem Typ ein gesondertes Training voraussetzt – der ECA RCO Taskforce ist durch ihren Informationsaustausch bekannt, dass es hier in der Praxis zu Problemen kommt: die Abnormal Checklisten und dazugehörigen Verfahren der PC-24 sind zu komplex, um sie während dem Fliegen als Single Pilot abzuarbeiten. Die meisten Operator setzen das Flugzeug daher aus Sicherheitsgründen ausschließlich mit zwei PilotInnen ein.

Weiterhin fehlt der Business Aviation Erfahrung im Bereich Human Factors, wie wir sie aus der Verkehrsluftfahrt kennen. Ein Flight Data Monitoring (FDM) ist in Europa für Flugzeuge mit einem MTOW von weniger als 27t nicht vorgeschrieben und Light Jets der Kategorie CS-23 werden teils sogar von Privatpersonen betrieben. Folglich sind die Datenlage und Erkenntnisse zur Flight Safety wesentlich schlechter. Es wäre daher eine riskante Schlussfolgerung anzunehmen, dass ein SiPO Konzept erfolgreich in der Verkehrsluftfahrt angewendet werden kann, nur weil es bereits entsprechend zertifizierte Business Jets gibt.

Pilatus PC-24, © Pilatus Aircraft

eMCO

Der Hauptfokus bei Verkehrsflugzeugen der Kategorie CS-25 liegt aktuell auf dem Konzept einer Extended Minimum Crew Operation (eMCO). Hierbei sollen zwei Piloten und Pilotinnen für Start und Landung zur Verfügung stehen, während im Reiseflug nur ein Pilot das Flugzeug steuert und ein Pilot ruht. Ein erster Anwendungsbereich für dieses Konzept sollen Langstreckenflüge sein. Dadurch, dass im Rahmen von eMCO eine Ruhemöglichkeit auf Flügen mit nur zwei Piloten und Pilotinnen verfügbar wäre, ist damit zu rechnen, dass früher oder später auch entsprechende Anpassungen der EASA FTL vorgenommen werden würden. Auf Strecken, die heute mit teil- oder vollverstärkter Cockpitbesatzung durchgeführt werden, würden dann nur noch zwei Piloten eingesetzt werden, um Personalkosten zu reduzieren. Während Boeing aktuell noch mit  der verspäteten Auslieferung der 777-X sowie Qualitätsproblemen im 787 Programm beschäftigt ist, möchte unter anderem Airbus das Konzept zeitnah auf einem angepassten Airbus A350 einführen. 

Pilatus PC-24 mit dem "Advanced Cockpit Environment" (ACE), © Pilatus Aircraft

Details dazu, wo und wie der ruhende Pilot seine In-Flight Rest verbringt, wurden bisher nicht veröffentlicht. Ebenso fehlen bisher Antworten auf eine Vielzahl von Fragen: wie kommt der im Cockpit verbliebene Pilot alleine mit einer plötzlich auftretenden starken Turbulenz, einem Upset, komplexen Abnormals oder einer Diversion zurecht? Was geschieht in einem Smoke Szenario oder bei einer Incapacitation? Welche Auswirkungen hat eine Single Pilot Ops auf die Fatigue, die auf Langstreckenflügen ohnehin bereits ein großes Problem darstellt? Wie soll der im Cockpit verbleibende Pilot die Toilette aufsuchen können?

Remote Pilot Monitoring (PM)

Wenngleich es momentan keine konkreten kommerziellen Pläne gibt, ein solches Konzept umzusetzen, ist das Modell eines Remote Pilot Monitoring eine weitere Form der RCO. Hierzu forscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des Projects „Next Generation Intelligent Cockpit“ (NICo) an einem „Remote Co-Piloten“, der zeitgleich mehrere Piloten in je einer Single Pilot Mission mit Hilfe einer Software über einen Bildschirm überwacht. Für den Fall, dass ein Single Pilot intensivere Unterstützung benötigt, z.B. aufgrund eines Abnormals, übergibt der „Remote Co-Pilot“ die Aufsicht über die restlichen Flugzeuge an einen Kollegen im Kontrollzentrum und unterstützt ausschließlich den in Not geratenen Piloten. Das Projekt sieht Testreihen im DLR-A320 Simulator sowie Flight Tests an Bord des DLR Forschungsflugzeuges ISTAR vor. Das DLR arbeitet im Zuge des Projekts an einer ganzheitliche Erforschung des Themas Single Pilot Operation, u.a. auch unter luftfahrtpsychologischen und medizinischen Aspekten.

Darüber hinaus gibt es kaum Daten dazu, wie oft Piloten und Pilotinnen schon heute bei einem "Inappropriate System Behaviour" in die Steuerung ihrer Flugzeuge eingreifen und die Situation nur als gut trainierte und erfahrene Flugzeugführer im Team wieder unter Kontrolle bekommen.

Auch hier stellen sich wieder viele Fragen: wie kann eine sichere Verbindung zwischen Kontrollzentrum und Flugzeug gewährleistet und z.B. gegen Cyber Attacken geschützt werden? Wie kommen der „aktiv“ fliegende Single-Pilot und sein virtueller Kollege miteinander zurecht, wenn sie sich noch nie begegnet sind und auch kein gemeinsames Briefing abgehalten haben?

eMCO während verschiedener Flugphasen, @ ACA

Workload Management

Ein Kernproblem jeglicher RCO ist der Arbeitsaufwand, mit dem eine Cockpitcrew heutzutage zurechtkommen muss. Dies beginnt mit dem Check-In an der Homebase: während die Piloten und Pilotinnen früher ein Briefing durch den Dispatcher ihrer Airline erhielten, müssen sie sich ihre Flugvorbereitung heutzutage mithilfe einer Briefing App auf einem Electronic Flight Bag (EFB) selber aufbereiten. Für vier aktive Flüge sind dabei oft nicht mehr als 10 Minuten vorgesehen. Im weiteren Verlauf eines Einsatztages ist die Cockpit Crew mit einer Vielzahl an Koordinierungs- und Dokumentationsaufgaben im Flugbetrieb beschäftigt, da im Zuge der Digitalisierung immer mehr Personal eingespart wurde. Diese Aufgaben können nur zu zweit und im Team bewältigt werden.

Verkehrsflugzeuge sind zwar sicherer, jedoch auch deutlich komplexer geworden. Eine sichere Verwendung vielschichtiger Flight Guidance und Autoflight Systeme erfordert daher unbedingt regelmäßige Cross-Checks, die nur von zwei Piloten und Pilotinnen geleistet werden können. Darüber hinaus gibt es kaum Daten dazu, wie oft PilotInnen schon heute bei einem „Inappropriate System Behaviour“ in die Steuerung ihrer Flugzeuge eingreifen und die Situation nur als gut trainierte und erfahrene Flugzeugführer im Team wieder unter Kontrolle bekommen.

Die Annahme seitens der Hersteller, dass einer von zwei Piloten und Pilotinnen im Reiseflug durch eine Maschine ersetzt werden kann, ist grundsätzlich falsch, da auch hier die Arbeitsbelastung plötzlich ansteigen kann. Beispiele hierfür sind Abnormals im Cruise, z.B. ein Emergency Descent, und Wetterphänomene wie CBs oder Turbulenzen. Eine Enroute Diversion, z.B. aufgrund eines zeitkritischen medizinischen Notfalls, kann die Arbeitsbelastung ebenfalls enorm erhöhen, da ein Pilot zur Gänze mit der Steuerung des Flugzeugs beschäftigt ist und der andere Pilot parallel Abstimmungen mit der Flugsicherung und der Kabinenbesatzung vornimmt.

Die ECA begrüßt eine Technologie, die Piloten und Pilotinnen in ihrem Arbeitsalltag unterstützt und das bestehende hohe Sicherheitsniveau in der Luftfahrt noch weiter verbessert. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum neue Systeme nicht zunächst in bestehenden Cockpits eingesetzt werden, sondern unmittelbar einen Piloten im Reiseflug ersetzen sollen. Im Kern geht es den Herstellern und Airlines darum, dem wirtschaftlichen Druck nachzugeben und Personalkosten einzusparen. Ein Verkehrsflugzeug muss jedoch von zwei gut ausgebildeten und erfahrenen Piloten geflogen werden, weil das Arbeitsumfeld und die dazu gehörenden technischen und organisatorischen Herausforderungen zu komplex sind!

Mehr Informationen

Mehr zum Thema RCO fim ECA Position Paper:
“The Human and the concepts of Extended Minimum Crew Operations (eMCO) and Single Pilot Operations (SiPO)”
https://www.eurocockpit.be/positions-publications/human-and-concepts-extended-minimum-crew-operations-and-single-pilot

Mehr zum Projekt “NICO”/Virtual Co-Pilot des DLR findet man unter:
www.nico.dlr.de