Qatar-Gate: Ermittlungen ziehen weitere Kreise
Erstmals ist mit Henrik Hololei ein Vertreter der EU-Kommission ins Visier geraten, der im direkten Umfeld der Verhandlungen des EU-Luftverkehrsabkommens mit Katar agiert. Die Folgen für unsere Branche und das Abkommen sind noch offen.
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Der Generaldirektor des Transport Department der EU-Kommission (DG MOVE), Henrik Hololei, ist zwischen 2015 und 2021 neun Mal kostenlos mit Qatar Airways in der Business Class geflogen. Das berichtet das Magazin Politico. Sechs dieser Freiflüge hätten demnach während der Verhandlungen zum Open Skies-Abkommen mit Katar ("CATA") stattgefunden und vier davon wurden von der Regierung des Emirats oder einer Gruppe mit Verbindungen zu Katar bezahlt.
Diese Enthüllungen folgen auf weitreichende Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, die im vergangenen Jahr von der belgischen Justiz erhoben wurden. Die Beschuldigten sollen u.a. Bargeldzahlungen von Vertretern des Staates Katar angenommen haben. Aufgrund der Anschuldigungen gab es bereits Rücktritte im Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments.
Mit den neuen Vorwürfen rückt nun erstmals ein Akteur im direkten Umfeld der Verhandlungen über das Luftverkehrsabkommen mit Katar in den Fokus. Auch wenn Hololei nicht selbst an den Verhandlungen beteiligt gewesen sei, wie es in dem Bericht heißt, so bleiben die Einflussmöglichkeiten eines Generaldirektors in die Arbeit seiner Verhandler selbstverständlich weitreichend.
Dass nun mutmaßlich auch Mitarbeiter der EU-Kommission, die das CATA-Abkommen verhandelt hat, Freiflüge angenommen haben, verstärkt unsere Befürchtung, dass das Emirat Katar auch auf diese Verhandlungen Einfluss gehabt haben könnte. Solange diese Möglichkeit auch nur theoretisch im Raum steht, ist die vorläufigen Anwendung von CATA unangemessen und die Aussetzung dieser vorläufigen Anwendung daher notwendig.
Wir wissen, dass die Ermittlungen zum Einfluss Katars auf Entscheidungsträger in Europa fortgeführt werden und stehen im Austausch mit verschiedenen Abgeordneten in Brüssel, um die Situation weiterhin sehr genau zu beobachten.
Hintergrund: Was ist "CATA"?
Die EU-Kommission hat 2021 mit dem Staat Katar ein umfassendes Luftverkehrsabkommen namens CATA (Comprehensive Air Transport Agreement) unterzeichnet. Es regelt primär Streckenrechte zwischen Katar und Airports der EU. Nach einer Übergangsphase von fünf Jahren sieht das Abkommen die komplette Freigabe von Flugfrequenzen auf allen Strecken zwischen Katar und allen EU-Airports vor.
Nach Ansicht führender Branchenvertreter läuft die Grundidee eines Open-Skies-Abkommens mit Katar den europäischen Interessen bei Wirtschaft und Beschäftigung diametral zuwider. Neben dem wirtschaftlich für europäische Anbieter eher unattraktiven weil sehr kleinen Zielmarkt Katar sind vor allem die offenen Fragen rund um die Kontrolle von Sozial- und Umweltklauseln im Abkommen sowie die Vorwürfe staatlicher Subventionen für Qatar Airways Anlass für Kritik.
Das CATA-Abkommen muss von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden, was voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern wird. Das Abkommen wird dennoch bereits vorläufig angewandt, wodurch Qatar Airways bereits heute, also vor der offiziellen Ratifizierung, umfangreiche Streckenrechte in die EU bekommen hat. Die vorläufige Anwendung wird in Artikel 29, Absatz 3 geregelt: "Ungeachtet des Absatzes 1 vereinbaren die Parteien, dieses Abkommen im Einklang mit ihren internen Verfahren und/oder Rechtsvorschriften ab dem Datum der Unterzeichnung des Abkommens vorläufig anzuwenden." Sollte der Einklang mit internen Verfahren und Rechtsvorschriften der EU nicht gegeben sein, könnte das Abkommen also ausgesetzt werden.
EU-Kommission sieht keine Gründe für eine Aussetzung von CATA
Im Gegensatz zur EU-Kommission, die keine Gründe für eine zumindest temporäre Aussetzung des Abkommens sieht, bestehen auf Seiten des EU-Parlaments weiterhin große Zweifel. Einige Parlamentarier, beispielsweise Izaskun Bilbao Barandica von Renew Europe, fordern, die vorzeitige Anwendung des Abkommens auszusetzen, bis alle möglicherweise bestehenden Ungereimtheiten bei den Verhandlungen des Abkommen ausgeräumt sind. Dieser Position können wir uns nur anschließen.
Das Europäische Parlament hatte sich bereits im Dezember 2022 dafür ausgesprochen, alle legislativen Vorgänge, die Katar betreffen, vorerst auszusetzen. Das schließt auch die finale Zustimmung für das bereits aktive Open-Skies-Abkommen ein. Und im Januar forderte die Chefin des Transport-Komitees des EU-Parlaments, Karima Delli, weitere Informationen, wie der CATA-Deal zustande gekommen ist.
Sollten Medien-Recherchen oder behördliche Ermittlungen weitere Ergebnisse zu Tage fördern, die Einflussnahmen des Staates Katar auf die europäische Seite der CATA-Verhandlungen belegen, so wird eine ehrliche Debatte um die Zukunft dieses Abkommens auch in Deutschland zu führen sein.
Unsere Position ist klar: CATA schadet europäischen Interessen
Unserer Ansicht nach - und diese Ansicht teilen wir mit der großen Mehrzahl der Vertreter der europäischen Luftverkehrswirtschaft - werden durch das CATA-Abkommen europäische Interessen unterlaufen.
Es kann nicht im Interesse der EU, ihrer Bürger und Unternehmen liegen, unseren Markt mit rund 450 Millionen Kunden einer staatlichen Airline mit geographisch günstig gelegenem Hub, riesigen Ambitionen und offensichtlicher staatlicher Unterstützung in großem Maßstab, zu öffnen und im Gegenzug einen für hiesige Airlines weitgehend uninteressanten Markzugang zu nicht einmal drei Millionen Kunden zu bekommen.
Darüber hinaus sind sämtliche Passagier-Zahlen Richtung Katar mit Vorsicht zu genießen, denn laut EU-Kommission diente Katar im Jahr 2021 für etwa 86 Prozent der Passagiere lediglich als Umsteige-Airport. Der O&D-Markt für Fluggesellschaften aus Europa ist dort also extrem beschränkt, um nicht zu sagen: unattraktiv. Gleichzeitig stehen auch weiterhin Vorwürfe wegen ungerechtfertigter staatlicher Subventionen von Qatar Airways, ausbeuterischer Arbeitsbedingungen bei der Airline sowie künftig auch die Fragen zum Umgang mit europäische Emissionsvorschriften und SAF-Quoten im Raum.
Von rein ökonomischen Aspekten abgesehen stellt sich beim Thema Katar/Qatar Airways und anderen Fluggesellschaften der Region für Deutschland und Europa aber auch die Frage der strategischen Unabhängigkeit immer drängender. Wir können es uns in heutigen Zeiten schlichtweg nicht mehr erlauben, diese Fragen auszublenden.
Die Europäische Union braucht einen eigenständigen starken Luftverkehrssektor, der nicht von Airlines in außereuropäischen Autokratien abhängt. Europa muss Entwicklungen zu weiter steigenden Abhängigkeiten im Verkehrssektor entschieden entgegen treten. In der Luftfahrt ist dies nur mit eigenen starken Fluggesellschaften möglich. Daher ist eine tiefgehende Prüfung aller Vorgänge rund um die CATA-Verhandlungen unerlässlich.