Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Sommer neigt sich dem Ende zu, doch das arbeitsreiche Jahr ist noch nicht vorbei. Nach Monaten, in denen Dienstpläne bis an die gesetzlichen Limits geplant wurden und Ruhezeiten an der Grenze dessen, was erlaubt ist, zeigt nun eine Studie, wie sich die erhöhte Belastung auf die europäischen Piloten auswirkte - mit teils erschreckenden Erkenntnissen, die auf erhebliche Mängel im Sicherheitssystem hinweisen.

22.09.2023 Editorial von Stefan Herth, Präsident

Die Studie des Beratungsunternehmens Baines-Simmons, die vom Europäischen Pilotenverband ECA beauftragt wurde, legt problematische Zustände offen: Sekundenschlaf im Cockpit, unzureichende Ruhemöglichkeiten gegen kumulative Ermüdung und die Ausdehnung der Flugdienstzeiten über das gesetzliche Maximum hinaus.

Die Müdigkeit in den Cockpits hat den Ergebnissen zufolge bereits vor der sommerlichen Hochsaison zugenommen. Drei von vier Piloten erlebten in den vier Wochen vor der Umfrage mindestens einen Sekundenschlaf während des Flugbetriebs - ein Viertel berichtet sogar von fünf oder mehr Sekundenschlafsituationen. Darüber hinaus berichten 73 Prozent, dass sie sich zwischen ihren Flugdiensten nicht ausreichend von Müdigkeit erholen konnten.

Der Bericht zeigt auch einen besorgniserregenden Trend bei der Verlängerung von Flugdienstzeiten. Fast jeder fünfte Pilot nutzte Commander's Discretion innerhalb der vier Wochen vor der Umfrage zweimal oder öfter. Darüber hinaus äußerten mehr als 60 Prozent der Befragten in unterschiedlichem Maße Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Konsequenzen, wenn sie sich weigern würden, einen Flugdienst per Kommandantenentscheid zu verlängern.

Nur 11 Prozent der Piloten gaben an, dass ihre Fluggesellschaft aufgrund von Müdigkeitsberichten betriebliche Änderungen zur Verbesserung der Sicherheit vorgenommen hat. Nur 13 Prozent wählten "das Unternehmen kommuniziert gut mit der Besatzung über Müdigkeitsberichte" und nur 12 Prozent gaben an, dass sie dem Meldesystem ihrer Fluggesellschaft vertrauen.

Der Bericht zeigt klar und deutlich, dass die Belastungen der Pilotinnen und Piloten in Spitzenzeiten oftmals über das sicherheitsverträgliche Maß hinaus gehen. Sekundenschlaf und totale Erschöpfung darf es im Cockpit nicht geben. Gesetzliche Limits dürfen keine Zielgrößen für die Planungen der Flugbetriebe sein. Das müssen Politik und Behörden mit entsprechender Regulierung sicherstellen.

Die Sicherheitsrisiken, die durch Müdigkeit entstehen können, werden von den europäischen Fluggesellschaften noch nicht ernst genug genommen. Sowohl das Risikomanagement der Airlines als auch die Überwachung durch die Behörden müssen noch deutlich verbessert werden. Und dass, obwohl die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA im Frühjahr diesen Jahres darauf hingewiesen hatte, dass das fliegende Personal in diesem Sommer erhebliche Belastungen zu erwarten hätte und die Fluggesellschaften dazu aufgefordert hat, mitigierende Maßnahmen zu ergreifen. Die Ergebnisse der europäischen Studien weisen jedoch auf eine andere Realität hin.

Bisher werden diese Probleme noch zu sehr im Kreis von Gewerkschaften, Personalvertretern oder Betriebsräten und Unternehmen diskutiert und sind in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt. Wie groß das Bedürfnis von Flugreisenden sowie der Öffentlichkeit insgesamt ist, dass sie adressiert werden, haben wir in den letzten Wochen an den zahlreichen Nachfragen und an der umfangreichen medialen Berichterstattung als Reaktion auf unsere Veröffentlichung der Studie erlebt.

Umso wichtiger ist es, dass ihr das Thema ernst nehmt und alle Reporting-Möglichkeiten nutzt, damit die Probleme bekannt werden und angegangen werden können.

Euer Stefan Herth