Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Geduldspiel

+ + + In den frühen Morgenstunden des 8. Januar 2020 werden vom Iran ballistische Raketen auf amerikanische Militärbasen im Irak abgefeuert. + + + Weniger als eine Stunde später wird der Luftraum über dem Persischen Golf, Iran und Irak, sowie dem Golf von Oman für US-Zivilmaschinen durch die FAA gesperrt. + + + Weniger als vier Stunden später startet Ukraine Airlines Flug PS752 in Teheran und verschwindet nach nur wenigen Flugminuten von den Radarschirmen. + + +

20.08.2020 Flight Safety von Michael Petry

Militärjets am Himmel

© Pixabay / robertwaghorn

Die darauffolgende Berichterstattung sorgte bei Piloten, die kurz vor einem Abflug in diese Region standen, für größere Verunsicherung. Verlässliche Informationen waren auch in den Tiefen des Internets kaum zu finden und angesichts der weltpolitischen Lage musste jede Nachricht kritisch hinterfragt werden. Schnell machten Gerüchte über einen Abschuss die Runde, aber bestätigte und belastbare Beweise gab es vorerst nicht. Deutsche Behörden gingen in ihren Analysen zunächst von einem Unfall aus. Die Sicherheitsabteilungen der Luftfahrtunternehmen folgten dieser Einschätzung. Manch einer fragte sich in diesen Stunden und Tagen der Ungewissheit, was der eigene Berufsverband von der Situation hält.

„Liebe VC, ist es sicher, dahin zu fliegen?“

Fliegen in und über Krisengebiete ist eines der Themen, die innerhalb der VC von der Arbeitsgruppe Security, kurz AG Sec, bearbeitet werden. Dies ist eine zehnköpfige „von-Piloten-für-Piloten“-Gruppe, die sich in regelmäßigen Abständen zusammenfindet, um das unter Fliegern eher unbeliebte Thema Security zu bearbeiten. Hierbei geht es vor allem darum, die Fliegerei für alle Beteiligten sicher gegen Gefahren von außen zu machen und die damit verbundenen Maßnahmen für uns Piloten und Besatzungen sinnvoll zu gestalten.

Security ist ein hochpolitisches Themenfeld. Wie schnell wird nach einem Vorfall eine vermeintlich wirksame Sicherheitsmaßnahme durch die verantwortlichen Organe eingeführt, um (zurückgewonnene) Sicherheit zu suggerieren? Sollte sich eine solche jedoch als wirkungslos herausgestellen, ist es für uns nur mit viel Geduld und Mühe möglich, zumindest die Teilrücknahme solcher Maßnahmen zu erreichen. Auf der anderen Seite kennen gerade wir Piloten die nach wie vor existierenden Lücken des Systems, die teilweise seit Jahren nicht geschlossen werden.

Security ist ein so sensibles Thema, dass sich eine klassische Öffentlichkeitsarbeit, wie zum Beispiel bei Tarif- oder Gesundheitsthemen, von selbst verbietet. Gerade im Kontakt mit Politikern und Behörden sind Vertraulichkeit und vorsichtiges Agieren gefragt, um innerhalb der uns gegebenen Möglichkeiten Vertrauen aufzubauen und Erfolge zu erzielen. So konnten wir zum Beispiel eine verbindliche Meldekette bei Laserblendungen vereinbaren und hoffentlich den Konflikt um begleitete Rückführungen im letzten Jahr beruhigen. Crewsicherheitskontrollen sind ein weiterer Dauerbrenner in unserem Themenpotpourri. Dabei sind unter anderem durch den föderalen Wirrwarr der Behördenzuständigkeiten leider nur vereinzelte Fortschritte zu erzielen.

Wir fordern die Einrichtung einer zentralen europäischen - oder bestenfalls weltweiten - Stelle, die politisch unabhängig über Ein- bzw. Überflugverbote für Krisengebiete entscheidet. Die Risikoanalysen müssen für Piloten nachvollziehbar, verlässlich, verbindlich und einsehbar sein.

Aber zurück zu der Ausgangsfrage nach dem Risiko eines Ein- oder Überfluges von Krisenregionen. Im Gegensatz zu den Kollegen aus den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich bekommen wir als Berufsverband keinen Zugang zu Hintergründen und keinerlei geheimdienstliche Informationen von deutschen oder europäischen Behörden, die wir analysieren und unseren Mitgliedern zur Verfügung stellen könnten. Wir sind auch nicht überzeugt davon, mit solchen Informationen zu wirklich validen Schlüssen gelangen zu können. Wir fordern stattdessen die Einrichtung einer europäischen oder sogar weltweiten zentralen Sammelstelle von Risikoanalysen und Einschätzungen zu Krisengebieten in Verbindung mit einem verlässlichen und schnellen technischen Prozess, der unabhängig von politischen und diplomatischen Überlegungen zu Einschränkungen oder Verboten bei Flügen in oder über Krisengebiete führt. Diese sollen für uns Piloten nachvollziehbar, verlässlich, verbindlich und einsehbar sein.

Das tragische Ende von Flug PS752 haben wir erneut zum Anlass genommen, das Thema in Öffentlichkeit und Politik zu platzieren, in der Hoffnung, dass den großen politischen Ankündigungen nach dem Abschuss von MH17 diesmal endlich konkrete Taten folgen. Die lange Reihe von zivilen Luftfahrtopfern in militärischen Konflikten muss endlich ein Ende finden. Aber, wie so oft in der Politik, bleibt es ein Geduldspiel.

Flug in ein Krisengebiet Was kann ich tun?

  • Informieren Sie sich im Internet über veröffentlichte NOTAMs, zum Beispiel via www.safeairspace.net oder www.easa.europa.eu.
  • Informieren Sie sich kritisch bei der Flugwegplanung und der Sicherheitsabteilung Ihres Flugbetriebs über die Lage.
  • Kalkulieren Sie Einschränkungen entlang Ihrer Flugroute in Notfallszenarien und Ihre Tankentscheidung mit ein.
  • Verschaffen Sie sich ein Bild über Ihre Crew und treffen Sie ggf. verbindliche Absprachen über Verhalten und Kommunikation vor Ort.
  • Seien Sie sich Ihrer finalen Verantwortung zur sicheren Flugdurchführung bewusst. Dies schließt die Entscheidung ein, einen Flug ggf. nicht durchzuführen.
  • Sollten Ihnen aufgrund Ihrer Entscheidung arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, wenden Sie sich an die VC, um Rechtsbeistand und Schutz zu erhalten.

VC Policy "Fliegen in und über Krisengebiete"

Sie finden u.a. die aktuelle Policy der VC zu Flügen in und über Krisengebiete im Mitgliederbereich der VC-Website unter Themen und Positionen -> Policies