Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Boeing 747 - Abflug der letzten „Königin der Lüfte“

Blick auf eine Luftfahrtikone, deren lange Reise noch nicht zu Ende ist

08.09.2023 Flight Safety von Dr. Daniel Schaad, Leiter Flight Safety

© Daniel Schaad

Als am 1. Februar dieses Jahres auf dem Snohomish County Airport (auch Paine Field genannt) im US-Bundesstaat Washington eine Boeing 747-8F mit der Registrierung N863GT ihre Triebwerke anlässt, scheint das an sich ein alltäglicher Vorgang zu sein, da der Flughafen mit dem ICAO Code KPAE ja durch das dort ansässige Boeing Werk der Geburtsort aller „Jumbo-Jets“ der 747-Reihe seit 1969 ist.

Und trotzdem ist dieser Engine Start um (nicht zufälligerweise) 7:47 Uhr Ortszeit ein ganz besonderer Moment in der Luftfahrtgeschichte. Es ist der Start zum Auslieferungsflug der letzten gebauten „Königin der Lüfte“, die an die amerikanische Frachtfluggesellschaft „Atlas Air“ geht.

Da auch in unserer Verbandsgeschichte der VC viele Mitglieder und Aktive mit dem imposanten Vierstrahler in Berührung kamen und viele von Ihnen sogar den begehrten Platz im Cockpit einnehmen durften, denken wir, es ist Zeit, einen kurzen Blick zurück auf die gut 50 Jahre dieses besonderen Flugzeugs zu werfen.

Ein Meilenstein

Die Boeing 747 hat die Welt des Luftverkehrs auf vielfältige Weise geprägt. Sie hat nicht nur den kommerziellen Luftverkehr demokratisiert, sondern auch Tourismus und Handel zwischen Ländern gefördert. Die 747 wurde oft von Regierungen für Staatsflüge und diplomatische Missionen eingesetzt und hat den Weg für den Luftfrachtverkehr geebnet, indem sie davor unerreichte Frachtkapazitäten anbieten konnte.

In all seinen Einsatzbereichen hat sich der „Jumbo-Jet“ als zuverlässig und robust erwiesen, ein echtes Arbeitspferd eben, das dazu bei eigentlich jedem luftfahrtinteressierten Menschen auf dem Planeten bis heute große Faszination und Begeisterung auslöst. Man könnte sagen: Die Boeing 747 ist über die Jahrzehnte zum Inbegriff des interkontinentalen Großraumflugzeugs geworden.

© Daniel Schaad

Startschwierigkeiten und ein entscheidender Satz beim Lachsfischen

Dabei sah anfangs vieles nicht ganz so rosig aus für die 747: Boeing hatte 1965 gerade einen Wettbewerb um den Auftrag für ein militärisches Großraumtransportflugzeug bis dato ungekannter Größe gegen den Konkurrenten Lockheed verloren, wollte die Konstruktionspläne aber gerne wiederverwenden, als Pan American Airlines unter ihrem legendären Chef Juan Trippe Interesse an einem Nachfolger des Jet-Pioniers 707 anmeldete und dabei gerne die doppelte Größe des Vorgängermusters haben wollte. 

Darüber hinaus kam es während eines gemeinsamen Ausflugs zum Lachsfischen zu dem beinahe epischen Dialog zwischen Trippe und dem damaligen Boeing Chef William Allen, bei dem der Pan Am Chef sagte: "You build it, I’ll buy it“ und promt von Allen die Antwort bekam: "I’ll build it if you buy it“. Das war der Startschuss für ein revolutionäres Flugzeug, das zur Ikone der modernen Luftfahrt werden sollte.

Viele Versionen

Die Boeing 747 hat im Laufe der Jahre viele Versionen hervorgebracht, dabei aber nie ihr charakteristisches Erscheinungsbild durch den berühmten Oberdeck-Buckel verloren. So war die Ursprungsversion -100 anfangs von großen Triebwerksproblemen geplagt, die sich erst mit der -200 und ihrer größeren Leistung und Startmasse verbesserten. Die -300 hatte dann bereits ein gestrecktes Oberdeck und mit der -400, dem bis heute erfolgreichsten Muster, hielt schließlich das Zeitalter des Zwei-Personen-Cockpits beim Jumbo Einzug, da durch ein „Glascockpit“ auf den Bordingenieur verzichtet werden konnte. 

Eine späte Krönung des 747-Stammbaums kam 2011 in Form der von 70 auf rund 76 Meter gestreckten 747-8, deren Tragflächen und Systeme komplett überarbeitet und modernisiert wurden und die besonders in ihrer Frachtversion neue Bestellungen verbuchen konnte. Auch zu erwähnen ist die ab 1975 in geringer Stückzahl von nur 45 Exemplaren gebaute SP (Special Performance)-Version, die mit einem auf 56 Meter gekürzten Rumpf und einer Reichweite von mehr als 8000 nautischen Meilen für die Ultralangstrecke ausgelegt war. Erwähnenswert ist auch die Version -300SR (Short Range), die als großvolumiges Kurzstreckenflugzeug für den stark frequentierten innerjapanischen Markt konstruiert wurde und bis zu 624 Passagiere aufnehmen konnte.

Ende einer Ära

Mit der Produktion des letzten Jumbo-Jets in diesem Jahr schließt Boeing ein bemerkenswertes Kapitel der Luftfahrtgeschichte ab. Obwohl die Boeing 747 noch lange nicht ihren Platz am Himmel räumt und uns gerade im Frachtbereich sicherlich noch viele Jahre erhalten bleibt, geht dennoch mit dem Produktionsende des Vierstrahlers auch eine Ära der Luftfahrtgeschichte zu Ende. Dabei ist eines sicher: Die „Queen“, wie sie mit Anspielung auf den inoffiziellen Titel „Königin der Lüfte“ häufig liebevoll genannt wird, geht als Meilenstein der Ingenieurskunst und des Fortschritts in die Annalen der Luftfahrt ein. 

Insgesamt hinterlässt die Boeing 747 ein Vermächtnis, das weit über ihre beeindruckenden technischen Merkmale hinausgeht. Sie verkörpert den Geist menschlichen Strebens nach Fortschritt, indem sie die Grenzen der Innovation in der Luftfahrt immer wieder erweitert hat. 

Die neue Zeit der Zweistrahler

Im ersten Jahrzehnt der 747 waren Drei- und Vierstrahler die unangefochtenen „Herrscher“ über die Langstrecke, insbesondere bei ozeanischen Routen, da hier die Verlässlichkeit zweier Triebwerke noch nicht ausreichend war. Das änderte sich spätestens in den frühen 1980er Jahren durch eine Entwicklung, die unter dem Stichwort ETOPS (Extended Range Twin Engine Operations) bekannt ist und welche die Möglichkeiten des Einsatzes von Zweistrahlern fernab von Ausweichflughäfen immer weiter ausdehnte. Wer heute an den Himmel über dem Nordatlantik schaut, sieht hauptsächlich zweistrahlige Flugzeuge, wie jene der Airbus A330er-Familie sowie Boeing 767/777/787 und neuerdings auch vermehrt „narrow body“-Flieger mit hoher Reichweite wie die 737MAX, den A321LR/XLR, usw. Hier macht sich die Effizienzfrage bemerkbar, die natürlich einem Zweistrahler deutliche Verbrauchs- und Emissionsvorteile gegenüber zusätzlichen Triebwerken einräumt. 

Schwierige Zeiten also für den vierstrahligen Jumbo-Jet, ebenso wie für sein europäisches „Jumbo“ Pendant, dem A380, die beide höchstens noch mit ihrem enorm großen Transportvolumen punkten können. Und das rechnet sich im Falle der 747 heute am ehesten für Frachtfluggesellschaften.

© Daniel Schaad

Abschied… oder doch nicht?

Während wir uns also von der „Queen“ in der Passagierluftfahrt schon in absehbarer Zeit werden verabschieden müssen (die Deutsche Lufthansa zählt zu den wenigen verbleibenden Airlines weltweit, die noch sowohl die 747-400 als auch die 747-8i für die Passage betreiben), wird der Frachtsektor aufgrund des beeindruckenden Fassungsvermögens der Cargo-Versionen voraussichtlich noch viele Jahre oder sogar Jahrzehnte den Jet mit dem charakteristischen Buckel fliegen und bei Luftfahrtenthusiasten die Herzen höher schlagen lassen. Das macht das Ende der Produktion für viele erträglicher.

Um unseren heutigen Blick auf die Boeing 747 noch ein wenig lebendiger werden zu lassen, möchten wir abschließend die Stimmen einiger Mitglieder zu Wort kommen lassen, die das Privileg hatten oder haben, die Ikone der Luftfahrt selbst fliegen zu dürfen. Sie wurden gebeten, in wenigen Sätzen ihre Gedanken, Erfahrungen und Emotionen in Bezug auf die Königin der Lüfte zu schildern:

„Laut, eng und Boeing-braun - und dennoch ist das Cockpit der Boeing 747 ein unglaublich toller Arbeitsplatz. Elf Jahre hat mich die werte Dame zuverlässig in die Metropolen der Welt gebracht. Ob nachts in der ITC oder bei Crosswind in Chicago, stets strahlt sie Gelassenheit aus.“ 

Veronica Schömer, SFO 747

„Während der Flugschulzeit hätte ich mir nicht vorstellen können noch die Chance zu bekommen die B747 zu fliegen, eine echte Luftfahrt-Ikone. Als ich dann Anfang 2018 zum Type Rating eingeteilt wurde war meine Vorfreude riesig. Nach mittlerweile über 5 Jahren Linienerfahrung auf dem ‚Jumbo‘ schätze ich mich immer noch sehr glücklich, wenn es nach Lineup mit über 400 Tonnen Startgewicht dann heißt ‚You have control!‘ und das Dröhnen der vier Triebwerke einsetzt.“ 

 David Streif, FO 747

„Als ich seinerzeit als FO auf die B747 umschulte, empfing uns einer der Flotten FEs mit den Worten 'Gentlemen (es waren keine Frauen in meinem Kurs), there are only two types of pilots in commercial airline oerations - those who fly the 747 and those who want to fly the 747.'

Auch wenn dies sicherlich so nicht auf alle Piloten zutrifft, wollte ich unbedingt als Kapitän zurück auf die B747 und schätze mich sehr glücklich, dass dies geklappt hat.“

Max Scheck, CPT 747

„Mit der 747-Fliegerei verbinde ich viele schöne Erinnerungen an Kollegen im Cockpit, aber auch in der Kabine. Mein Schlüsselerlebnis: Flugtraining in Roswell, NM, USA. Ein klarer, kühler Morgen. Ausbildungs-CPT, F/E und... ich. Niemand sonst. Die Treppe ins Flugzeug war sooo hoch - ich kam von der 737!“

Klaus Sievers, CPT 747 (ret.)

„Die Begeisterung für die Queen ist allgegenwärtig und ungebrochen, unter den Crews, Passagieren, Fluggesellschaften, Technikern, unter wirklich allen, die an ihrer Operation beteiligt sind: für ihre Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit, für ihre Beständigkeit und nicht zuletzt aufgrund ihres unverwechselbaren Aussehens. Ihre technische Redundanz und Leistungsfähigkeit hat die Welt der Fliegerei revolutioniert und hat sie unzählige Krisen erfolgreich durchleben lassen. Und mich, der seine fast fünfzehnjährige Karriere bis zur B747 auf Airbus bis hin zum A380 verbracht hat, beschleicht jedes Mal beim Fliegen der Boeing 747 ein Gefühl von Stolz und Bewunderung, wie am ersten Tag in der Flugschule…“ 

Karan Kellinghaus, FO 747

Jeder Pilot liebt sein Flugzeug, aber tatsächlich ist es mit der „Sieben-Vier“ noch etwas anderes. Es ist schlicht ein riesiges Vergnügen sie zu fliegen. Es ist für mich auch jedes Mal großartig zur Parkposition zu kommen und sie dort stehen zu sehen. Die 747 strahlt für mich eine solche erwartungsvolle und freundliche Gelassenheit und Vorfreude auf den bevorstehenden Flug aus, und dies wirkt schlicht ansteckend.

Das Oberdeck mit seinen bequemen Sitzen, der Galley und der abgeteilten Crew Bunks bietet Platz, Comfort und Rückzugsmöglichkeiten für lange Flüge. Man befindet sich zusammen auf einer langen Reise und ist nicht im Cockpit eingesperrt.

Diese Größe des Jumbos ist es jedoch auch, was am Anfang Respekt einflößend wirkt. Es hilft hier die Perspektive des Cockpits, dieses ist nicht viel größer als andere Verkehrsfliegercockpits, bietet jedoch bequemen Platz für zwei Piloten und zwei Beobachter. Von hier aus fliegt sich das Flugzeug nicht grundsätzlich anders als eine 737, oder auch eine Cessna 172. Wenn man im normalen Betrieb die Chance auf

einen Sichtanflug bekommt, und diesen gut geplant und glücklich absolviert hat, so ist es immer wieder unglaublich, danach auszusteigen und auf diesen riesigen Flieger zu schauen: „We did all this with this aircraft??!“

Kai Kampelmann, FO 747