Mitgliedermagazin der Vereinigung Cockpit

Die Bedeutung einer zweiköpfigen Cockpit-Besatzung für die Flugsicherheit

Warum Automatisierung und KI das menschliche Team nicht ersetzen können

26.04.2024 Flight Safety von Dr. Daniel Schaad, Leiter Flight Safety, Vereinigung Cockpit e.V.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Verständnis dafür, was wir im Team als Pilotinnen und Piloten jeden Tag leisten ist in unserem Kreis in jedem Fall vorhanden. Die Vorstellung, dass in Zukunft der Reiseflug in einer one-person-show betrieben werden soll, lässt viele von uns den Kopf schütteln. Leider handelt es sich dabei jedoch nicht mehr um ferne Zukunftsmusik. Das Verständnis für unsere Arbeit und die Bedingungen, die wir benötigen, um unsere beste Leistung abrufen zu können, sind leider außerhalb der Pilotenschaft zum Teil nur begrenzt vorhanden.  Derzeit arbeitet die EASA unter Einwirkung der Industrie sehr bestrebt daran, die gesetzlichen Voraussetzung für die Reduzierung der Mindestbesatzung im Cockpit zu schaffen. Die EASA plant eine reduced crew operation schon 2027 einführen zu können. Die Flight Safety Abteilung arbeitet in engster Abstimmung mit unserem europäischen Dachverband ECA daran, unsere Perspektive in dieses Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen. Wir stehen in engem Kontakt mit den deutschen Behörden und diskutieren an vorderster Front in Brüssel mit. 
Erst dann, wenn jegliche Bedenken durch technologischen Fortschritt ausgeräumt werden konnten und sich eine Verbesserung des derzeitigen Sicherheitsniveaus entwickelt, kann eine Reduzierung der Mindestbesatzung für uns in Frage kommen. Was dazu alles zu überwinden ist, zeigt euch der folgende Artikel.
Eure
Vivianne Rehaag
Vorständin Flight Safety

Vivianne Rehaag, Vorständin Flight Safety

Die Bedeutung einer zweiköpfigen Cockpit-Besatzung für die Flugsicherheit  

Warum Automatisierung und KI das menschliche Team nicht ersetzen können


Die Diskussion über die Rolle von Pilotinnen und Piloten im Cockpit von Verkehrsflugzeugen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Mit dem Fortschritt der Automatisierung und künstlicher Intelligenz (KI) in der Luftfahrt wird von wirtschaftlicher, politischer und technischer Seite zunehmend die Notwendigkeit von zwei Besatzungsmitgliedern im Cockpit in Frage gestellt. Dennoch bleiben vielfältige und entscheidende Gründe bestehen, warum ein professionell trainiertes Team aus zwei Menschen auch in Zeiten hochentwickelter Automatisierung und künstlicher Intelligenz im Cockpit immer noch unerlässlich ist.

Automatisierung und KI - Unterstützung und Herausforderung zugleich

Die heute in der Luftfahrt zum Einsatz kommende Automatisierung hat zweifellos die Sicherheit und Effizienz im Luftverkehr in den vergangenen Jahrzehnten verbessert. Moderne Flugzeuge sind mit hochentwickelten Systemen ausgestattet, die viele Aspekte eines Fluges automatisieren und dabei den Menschen in Bereichen unterstützen, wo er zuvor aufgrund der mentalen und physischen Beanspruchung durchaus an die Grenzen seines Leistungsvermögens gekommen war. So können Computer heute von der Navigation über die Flugleistungskontrolle bis zur automatischen Landung eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen, die einst ausschließlich und unmittelbar von Piloten und Pilotinnen ausgeführt wurden.

Dennoch ist es wichtig zu erkennen, dass Automatisierung (und im Weiteren auch KI) auf absehbare Zeit die menschliche Komponente im Cockpit nicht werden ersetzen können und dass dabei insbesondere auch der Aspekt der Teamarbeit zweiter Besatzungsmitglieder entscheidend ist. In der Diskussion um die Bedeutung von zwei Piloten im Cockpit von Verkehrsflugzeugen ist es daher wichtig, die adaptive Natur des menschlichen Reglers und die Vorteile menschlicher Teams in Notsituationen zu betonen. Diese Aspekte tragen maßgeblich zur Sicherheit und Effizienz des Flugbetriebs bei.

Der Mensch als adaptiver Regler

In der Regelungstechnik wird ein System als Regelkette betrachtet, das ausgehend von verschiedenen Eingangsgrößen darauf abzielt, einen gewünschten statischen oder dynamischen Zustand zu erreichen und/oder aufrechterhalten. Die hierbei als „Übertragungsfunktion“ bezeichneten Zuordnungsvorschriften von Eingangs- zu Ausgangsgrößen können dabei ganz unterschiedliche Charakteristika aufweisen. So kann eine Regelkette beispielsweise linear oder nicht-linear sein, dämpfende oder anfachende Elemente enthalten, u.v.m..

Der Mensch ist in einem „anthropotechnischen“ (also Mensch und Maschine beinhaltenden) Regelkreis ein bemerkenswert adaptiver Regler, dessen Verhalten und Entscheidungsprozesse sich situativ anpassen können. Anders formuliert hält der Mensch bei der Übernahme einer Regelungsaufgabe wie z.B. als Pilotin im Cockpit eine große Anzahl an Übertragungsfunktionen bereit, die er bei bestimmten Eingangsgrößen und Situationen abrufen kann. Die Fähigkeit des Menschen, erfolgreich adaptiv zu regeln, hängt dabei natürlich stark vom Trainingszustand der jeweiligen Person ab, weshalb regelmäßiges Training für Cockpitpersonal auch so entscheidend wichtig ist.

In Notsituationen oder bei unerwarteten Ereignissen im Flugzeug reagiert ein Pilot aber eben (anders als eine Automation) nicht nur auf vordefinierte Szenarien, sondern kann (und muss) die eigenen Handlungen kontinuierlich an sich dynamisch verändernde Bedingungen anpassen. Diese Fähigkeit zur Anpassung ist ein entscheidender Vorteil gegenüber rein automatisierten Systemen, die möglicherweise Schwierigkeiten haben, flexibel auf neue oder unvorhergesehene Situationen zu reagieren, auch wenn es Bestrebungen gibt, genau diese Fähigkeit durch Künstliche Intelligenz (KI) zu ermöglichen. 

Hierbei stellt sich allerdings die Frage nach dem Black-Box Verhalten von KI-Systemen, bei denen - anders als bei einer rein deterministischen Automatisierung, wie sie bisher in Verkehrsflugzeugen zum Einsatz kommt - die Übertragungsfunktionen vollends intransparent sind, was im Kontext der Steuerung komplexer Verkehrssysteme natürlich gänzlich unerwünscht ist. Nun ließe sich argumentieren, dass auch die genauen Übertragungsfunktionen des Menschen in seinem Handeln als Pilot oder Pilotin nicht transparent im Sinne einer vollständigen mathematischen Beschreibung sind, dennoch folgen sie der im Rahmen von Training und Hintergrundwissen aufgebauten Expertise eines „vernünftigen“ Reglers, der neben dem Abrufen der verinnerlichten Wissens- und Verfahrensbibliotheken eben auch gleichzeitig zur teamorientierten Problemlösung imstande ist. 

Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang auch entscheidend, dass Pilotinnen und Piloten über ein eigenes Situationsbewusstsein verfügen, oder einfach ausgedrückt: Sie wissen, dass sie fliegen und berücksichtigen dies in ihren Entscheidungen und Aktionen. Dieses Bewusstsein fehlt bislang jedem auch noch so weit entwickelten KI-System und es ist fraglich, ob KI jemals in der Lage sein wird ein eigenes Bewusstsein zu generieren.

Beschleunigung der Situationsanalyse und Problemlösung durch Teamwork

Insbesondere in Notsituationen trägt die Anwesenheit von zwei Piloten im Cockpit zu einer Beschleunigung der Situationsanalyse und Problemlösung bei. Die Parallelisierung von Arbeits- und Problemlösungsschritten ermöglicht es, mehrere Aspekte einer Situation gleichzeitig zu erfassen und zu bewerten.

Während sich eine der beiden Piloten auf die unmittelbaren Handlungen der Flugführung konzentrieren kann, wie beispielsweise das Stabilisieren des Flugzeugs oder die Kommunikation mit der Flugverkehrskontrolle, kann das andere Crewmitglied die Situation analysieren, alternative Lösungen evaluieren und zusätzliche Informationen sammeln. Diese parallelen Aktivitäten ermöglichen eine schnellere und umfassendere Reaktion auf die Krise, insbesondere dann, wenn beide effizient miteinander kommunizieren, wie es im Rahmen des heute üblichen „Crew Resource Managements“ (CRM) umfassend trainiert wird.

Im Gegensatz dazu würde das sequenzielle Bearbeiten von Problemen durch nur eine Pilotin in Notsituationen schnell zu einer Überlastung des einzelnen Menschen führen. Die menschliche Kapazität zur Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung ist begrenzt und in Stress-Situationen kann die Fähigkeit eines Einzelnen, angemessen zu reagieren, erheblich beeinträchtigt sein.

Das wiederum führt unter Umständen zu mangelhafter Problemanalyse und unzureichender Lösungsfindung, was das Risiko von Fehlentscheidungen und schwerwiegenden Folgen für die Sicherheit eines Fluges erhöht. Hier ist derzeit auch keine Abhilfe durch die Interaktion beispielsweise mit einem KI-gesteuerten virtuellen Co-Piloten absehbar, da die soziale Dimension gemeinschaftlicher menschlicher Problemlösung mehr ist als die reine sprachliche Kommunikation und von vielen sensorischen Faktoren abhängt, die bislang nur Menschen in ihrer Interaktion aufbringen können.  
Zudem gilt es zu erkennen, dass nur bei mindestens zwei Besatzungsmitgliedern der Abgleich mentaler Modelle und Lösungsansätze zu einer Redundanz und damit einhergehend zu einer Fehlerverhinderung führt. Sollte im Lösungsprozess ein mentales Modell fehlerhaft sein, kann dies erst im Abgleich mit einem zweiten auffallen und ermöglicht es somit, Fehler oder einen „Tunnelblick“ zu verhindern. Diese Redundanz fehlt bei Single Pilot Konzepten gänzlich.

Bore-Out Gefahr durch Automatisierung: das Zwei-Personen-Cockpit als wichtige operative Redundanz nicht nur bei Start und Landung

Der Einsatz zweier Pilotinnen und Piloten im Cockpit von Verkehrsflugzeugen hat noch eine weitere Dimension, die insbesondere in Zeiten fortschreitender Automatisierung an Bedeutung gewinnt. So kann ein hoher Grad an Automatisierung in der vertikalen und horizontalen Flugführung, dem Flugzeugsystemmanagement (Fuel und Engine), sowie der Kommunikation (z.B. durch digitales Position Reporting, etc.) insbesondere bei Langstreckenflügen dazu führen, dass Piloten und Pilotinnen in einen Zustand der Langeweile und Unterforderung geraten, der unter Umständen die Aufmerksamkeit beeinträchtigt und die Reaktionsfähigkeit im Notfall verringert, was einmal mehr nur durch die Redundanz mittels zweiter aktiver Besatzungsmitglieder aufgefangen werden kann. Das gilt somit insbesondere auch im Langstrecken-Reiseflug, der oft von Befürwortern eines Ein-Personen-Cockpits fälschlicherweise als bester Anwendungsfall für „Reduced Crew Operations“ (RCO) dargestellt wird. 

Fazit

Die hier diskutierten Aspekte des Menschen als adaptivem Regler in der Funktion einer Flugzeugführerin zeigen, dass die Herausforderung im Finden einer optimalen Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Interaktion im Spannungsfeld zwischen Überlastung und Bore-Out liegt, während zugleich die Problemlösung in kritischen Systemzuständen am effizientesten durch die Kooperation zweier menschlicher Operateure sichergestellt werden kann. Diese Teamwork-Fähigkeit kann heute ebenso wenig von einer KI emuliert werden, wie die fachliche Tiefe des menschlichen Repertoires an adaptiven Übertragungsfunktionen. 

Ebendiese adaptive Natur des menschlichen Reglers und die Fähigkeit zur Beschleunigung der Situationsanalyse und Problemlösung durch Teamwork im Cockpit sind entscheidende Elemente für die Sicherheit und Effizienz des Luftverkehrs. Nur die Anwesenheit von zwei Piloten oder Pilotinnen ermöglicht es somit, die menschlichen Ressourcen optimal zu nutzen und die situativen Herausforderungen des Fliegens auf eine effektive und sichere Weise zu bewältigen.

Rulemaking Tasks aus dem European Plan for Aviation Safety 2024 der EASA / © EASA